Was werden wir noch glauben?
Nein, ich spreche hier heute nicht von amerikanischen Wahlkämpfen, Putin‘schen Machenschaften oder Päpsten in Daunenanoraks. Mir geht es ums Alltägliche – um all die Postings, Videos und Texte, die so jeden Tag auf uns hereineinprasseln.
Vor ein paar Jahren erst wurde eine Generation erwachsen, die nie ohne Internet gelebt hat. Die Auswirkungen wie Over-Usage, Cyber-Bullying und andere Scheußlichkeiten sind hinlänglich bekannt – nicht nur bei Jungen, auch (oder gerade) bei Erwachsenen.
Was aber ist mit den Kindern, die jetzt auf die Welt kommen, die in ein Medienzeitalter der Ambivalenz hineingeboren werden? Die von Anfang an Bildern, Filmen und anderen Formaten ausgesetzt sind, von denen sie nicht wissen, ob sie "echt" oder "generiert" sind? Kinder, die später "Erinnerungen" sehen werden, von denen sie nicht wissen, ob sie einen realen Moment, etwas wirklich Geschehenes zeigen – oder ob es sich dank Midjourney oder Chat-GPT um die Illustration und Beschreibung einer Vorstellung übereifriger Eltern handelt, die sich ihre Lebensrealität – zugespitzt – "idyllisch herbeiträumen".
Dass wir Strateg:innen und Kommunikator:innen uns mit dem Thema schon befassen (müssen), ist Fluch und Segen zugleich. Wir lernen zwar jetzt schon, wo Grenzen zu vermuten sind, wie Nutzen sinnvoll gestiftet werden kann und wo das "Werkzeug" KI sinnvoll einzusetzen ist. Allerdings ahnen wir im selben Moment, wo uns das Ganze um die Ohren fliegen könnte, und welche Auswirkungen von KI auf unser aller Arbeitsalltag, Arbeitsplätze und unser Miteinander am Arbeitsplatz sich jetzt schon auswirken. Auch wenn wir immer schon in einer "behübschten" Realität unserer retuschierten und animierten Kampagnen lebten, so waren es zumindest immer Abbilder eines Moments, der Realität einer Location, Studios oder Shootings – des "echten" Lebens also.
Ab morgen – eigentlich schon jetzt – kann das alles Illusion sein. Nicht Abbild, sondern künstlich erzeugte Fiktion. Helfen Watermarks in Bildern und Hinweise in Texten, eine Sache glaubwürdiger zu machen? Wird es überhaupt noch relevant sein, was wahr ist, und was nicht? Oder ist es eigentlich egal, weil die Wahrheit für die heute Geborenen sowieso keine Rolle mehr spielt und sie sich eine neue Art von Wahrheit suchen (müssen?) – welche auch immer das ist.
Die Antwort darauf hat wohl niemand. Noch niemand. Umso wichtiger ist es, dass wir dem Thema gegenüber offen und sensibel gegenübertreten. Unser Beitrag kann sein, dass wir Strateg:innen in Szenarien denken. Dass wir versuchen, weit nach vorne zu denken, und das nicht nur in Bezug auf die technischen Möglichkeiten, sondern auch in Bezug auf die sich verändernde Wahrnehmung. Und uns dabei selbst keine Schranken auferlegen. Künstliche Intelligenz ist Realität – egal ob wir es gut oder schlecht finden. Machen wir das Beste draus!
Haben Sie einen schönen Frühling.